Wenn das Leben süchtig macht

Serie, Teil 1, aus FARANG 09-2010

Man braucht sich doch umschauen: Wo man steht, geht oder sitzt wird Alkohol getrunken: in Kneipen, Restaurants, Biergärten, zu Hause, bei Freunden, teilweise auch auf der Arbeit, vor Supermärkten, in Parkanlagen. Spielhallen oder Casinos sind wie Pilze aus dem Boden geschossen. Es wird an Automaten oder dem Roulettetisch gespielt, auch Karten, und immer wieder verloren. Der Thaipark macht da keine Ausnahme. Bis zum Abwinken sitzt man vor dem Computer und spielt täglich und stundenlang, Drogen werden konsumiert, die Einnahme von Tabletten gehört zum Alltag. Das betrifft Millionen Deutsche, auch Thais und deren Angehörige sind davon betroffen.

Es gibt Dutzende Arten von Missbrauch und Süchten: Alkohol, Medikamente, Glücksspiel, Computerspiele, Drogen oder andere Rauschmittel sind die häufigsten. Es gibt aber auch andere Süchte: Arbeitssucht zum Beispiel, Eifersucht, wenn sie krankhaft wird, oder Sexsucht. Nicht selten sind dadurch ganze Familienverhältnisse gestört. Experten sprechen von mehr als 60 verschiedenen Süchten, die weltweit existieren.

Die Weltgesundheitsorganisation der UNO (WHO) hat Mitte der 60er Jahre viele Süchte oder auch Abhängigkeiten als Krankheit offiziell anerkannt. Das heißt, ihre Mitgliedsländer sind angehalten, die Gesetze danach auszurichten, vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen und medizinische und außermedizinische Betreuung und Beratung aufzubauen. Deutschland hat es getan, in Thailand gibt so etwas (noch) so gut wie nicht.

Allein in Berlin gibt es, abgesehen von spezialisierten Kliniken, fast 300 Suchtberatungsstellen und Selbsthilfegruppen für alle oben genannten Abhängigkeiten. Wer es wirklich will, dem kann geholfen werden, der kann sich selbst helfen, aus dem Teufelskreis der Sucht auszubrechen und wieder Zufriedenheit, körperliche und geistige Frische sowie Familienfrieden zu erlangen.

Ich werde in der nächsten Ausgabe des FARANG damit beginnen, auf einige dieser Abhängigkeiten sowie auf Ursachen, Aspekte und Folgen einzugehen und auch aufzeigen, wie sie behandelt werden können. Ich möchte Betroffenen und Angehörigen Anstöße geben, zum Nachdenken anregen und H i l f e leisten. Gerne stehe ich auch als privater Suchtberater für Gespräche zur Verfügung, alles diskret und anonym! Man muss sich nur helfen lassen wollen! Meine Kontaktdaten lesen Sie im Kasten links unten. Heiner Pachmann

Nächste Ausgabe: Wenn Bier und Whisky zum Nahrungsmittel werden

Schluck auf Schluck, wenn Alkohol zum Nahrungsmittel wird

Serie, Teil 2, aus FARANG 10-2010

Vorab ein Witz: Sagt der Arzt zum Patienten: "Ich weiß nicht, welche Krankheit Sie haben. Vielleicht liegt es am Alkohol." Sagt der Patient zum Doktor: "Gut, dann komme ich wieder, wenn Sie nüchtern sind."

Soll ich Ihnen, lieber Leser, als Suchtberater mal etwas verraten? Ich weiß nicht, was Sucht ist und wie sie entsteht! Keiner weiß, was passiert, Ärzte und Forscher nicht, Therapeuten und Berater und Helfer nicht. Man weiß nur, da passiert etwas mit dem Stoffwechsel, und es gibt (wichtig) klare Anzeichen dafür und (noch wichtiger) die Hilfe, aus der Sucht heraus zu kommen. Aber niemand weiß, warum Nim Alkoholikerin wird und Nana nicht, warum Michael nicht, aber seine Frau Simone, obwohl doch alle gleich viel und oft trinken.

Viele Menschen, ja Millionen bei uns in Deutschland, trinken viel und oft, zu viel und zu oft, ja sogar regelmäßig. Was mit dem, wie wir Fachleute sagen, Erleichterungstrinken beginnt (das hat ja schon fast jeder von uns gemacht), führt über das regelmäßige Wirkungstrinken in die Sucht, wird zu einem "normalen" Lebensstil mit eigener Dynamik, die man nicht mehr beherrschen kann. Wann das passiert, weiß keiner genau. Aber spätestens erkennt man es selbst, wenn das Trinken normal wird, wenn man nach längerem Trinken dann ohne Alkohol Entzugserscheinungen hat (Unruhe, Zittern, Herzrasen, Schwitzen), wenn man schon am Morgen trinkt (Nachtrinken nach dem Abend - den "Kater" mit Alkohol vertreiben), wenn man heimlich trinkt, zu Hause die Flaschen versteckt, man ohne "Stoff" nicht mehr leben und arbeiten kann und - dies alles leugnet! Man verliert die Kontrolle über sein Trinkverhalten - Kontrollverlust ist ein typisches Symptom für die Abhängigkeit, übrigens egal, ob Alkohol-, Spiel- oder andere Süchte.

Als erste merken die Angehörigen - Eheleute, Kinder oder Verwandte - dass mit einem etwas nicht stimmt. Die haben, nebenbei gesagt, am meisten darunter zu leiden. Aber dazu mehr in einer späteren Folge. Sich selbst und anderen gegenüber will der Trinkende seine Abhängigkeit nicht eingestehen, obwohl er in "bester" Gesellschaft ist.

In Deutschland leben 1,7 Millionen Alkoholabhängige, ebenso viele (noch nicht abhängige) Vieltrinker und 7 Millionen Menschen mit riskantem Alkoholkonsum. Der jährliche Verbrauch von reinem Alkohol liegt bei durchschnittlich 10,1 Litern pro Kopf - Platz 3 in Europa. Es gibt jährlich 74.000 Todesfälle durch Alkohol. Nebenbei gesagt, durch die berüchtigten Drogen sterben jährlich "nur" 1.500 Menschen.

Die Auslöser, die zum Viel- und später zum Suchttrinken führen, können ganz unterschiedlich sein: einfach nur die Lust am Rausch (einen zu trinken kann ja auch Spaß machen), Einsamkeit, Ärger mit dem Ehepartner, Ärger auf der Arbeit, Stress mit den Kindern (Stresstrinken), Arbeitslosigkeit, Ängste und Phobien, Freude über sich selbst oder über andere (Belohnungstrinken, sich eine Schluck gönnen auf den Erfolg), Trauer, Depressionen (oft als Folge des Trinkens), Angst vor Krankheiten und deren Folgen, Sehnsucht nach Liebe, Verdrängen von Konflikten usw.

Was kann man denn nun tun, um die Abhängigkeit wieder los zu werden? Ganz ehrlich, man wird sie nicht mehr los (Rückfallgefahr - auch ein späteres Thema), aber man kann sie beherrschen lernen. Schritt Nr. 1 ist immer der zum Hausarzt oder zum Suchtberater. Schritt Nr. 2 ist der kontrollierte Entzug oder die Entgiftung (von der Kasse bezahlte vier bis 10 Tage, zumeist in einer spezialisierten Klinik (alle sind dort gleich, vom Rechtsanwalt bis zum Hartz-IV-Empfänger). Schritt Nr. 3 die Entwöhnungsphase, wobei Experten zumeist eine dreimonatige Therapie empfehlen, entweder ambulant (von der Krankenkasse bezahlt) oder stationär in einer Rehaklinik (von der Rentenversicherung bezahlt). Es gibt aber auch noch andere Möglichkeiten einer wirksamen Entwöhnung. Schritt Nr. 4 kann dann der Besuch einer Selbsthilfegruppe mit ebenfalls betroffenen, aber trockenen Abhängigen sein.

Soweit einer erster "Ritt" über die Problematik der Alkoholabhängigkeit. In weiteren Folgen wird über die einzelnen Hindernisse und Folgen geschrieben. Aber lassen Sie sich auf jeden Fall helfen, wenn Sie betroffen sind, oder auch als Angehöriger!

Noch (k)ein Witz am Ende: Es gibt Kliniken, wo Therapeuten Therapeuten und Ärzte betreuen. Nobody is perfect!
Heiner Pachmann

Im nächsten FARANG-Magazin: Wenn das Spielen zur Sucht wird

Spielsucht: Tor zum Glück oder Tor zur Hölle

Serie, Teil 3, aus FARANG 11-2010

"Wenn sie nicht hören, reden, fühlen, noch sehn - was tun sie dann? Sie spielen." So schrieb einmal der große deutsche Dichter Goethe.

Nun ist gegen das Spielen an sich nichts einzuwenden. Anders ist es schon bei Glücksspielen. Auch gegen die ist vom Prinzip her nichts zu sagen. Problematisch wird es dann, wenn das Spielen zur Sucht wird.

Glücksspiele gibt es, seit es Menschen auf unserer Erde gibt. Spiele sind abwechslungsreich, unterhaltend, erlebnisreich und vor allem spannend. Besonders wenn Geld im Spiel ist, das man gewinnen kann. Fast zu 100 Prozent aber gewinnt man nicht, sondern verliert meist seinen Einsatz.

Fast 30 Milliarden Euro setzen die Deutschen jährlich allein beim legalen Glücksspiel ein, beim staatlichen Lotto, in Casinos und an den vielen Spielautomaten in Spielhallen, Kneipen, Imbissbuden, Tankstellen oder in Parkanlagen wie z.B. dem Thai-Park.

Die meisten Menschen, die gerne spielen, haben kein Problem damit, aber manche können nicht mehr aufhören, wenn sie einmal damit angefangen haben. Wer zu viel spielt, kann irgendwann nicht mehr entscheiden, ob er aufhören oder weiterspielen möchte. Er kann sich nicht mehr kontrollieren. Die Fachleute nennen es Kontrollverlust - ein klassisches, ja sogar das entscheidende Symptom dafür, dass man süchtig, in diesem Falle spielsüchtig ist.

Warum haben Glücksspiele eigentlich ein so hohes Suchtpotential? Ein Grund ist, dass der Spieler oder die Spielerin glaubt, den Spielverlauf steuern zu können. Ein verheerender Irrglauben. Ausserdem lassen Automaten anfangs kleine oder Fast-Gewinne zu, die zum Weiterspielen verleiten. Denn dann ist es schon zu spät, wird fast nur noch verloren. Zum Teil werden an einem einzigen Tag ganze Gehälter verspielt, weil der Spieler in eine Traumwelt eintaucht. Mancher FARANG-Leser kann sicher ein Lied davon singen.

Wann ist man eigentlich spielsüchtig? Woran erkannt man es? Glücksspielsüchtig ist derjenige, der

* sich gedanklich stark mit dem Spielen beschäftigt, es plant und immer wieder darüber nachdenkt, wie man zu Geld kommt,
* immer mit höheren Einsätzen spielt, um den gewünschten Erfolg oder die gewünschte Erregung zu erreichen,
* beim Versuch, sich zu kontrollieren immer wieder scheitert,
* unruhig und gereizt beim Versuch wird, das Spielen einzuschränken oder aufzugeben,
* spielt, um Problemen zu entkommen oder eine bessere Stimmung zu erreichen,
* am nächsten Tag weiterspielt, um die Verluste des Vortages auszugleichen,
* gegenüber seiner Familie vertuscht, dass er spielt und dies mit Ausreden versieht,
* illegale Handlungen vornimmt wie Diebstahl, Unterschlagung, Fälschung oder Betrug,
* zum Beispiel durch die Spielsucht seinen Arbeits- oder Ausbildungsplatz gefährdet und
* darauf hofft, dass er von anderen Geld geliehen oder beschafft bekommt oder sogar "bettelt".

Besonders schlimm ist die Glücksspielsucht - wie alle anderen Süchte auch - für die Angehörigen, vor allem die Kinder. Sie erkennen häufig als erste die Sucht, werden zu Co-Süchtigen, in dem sie die Geschichte gegenüber anderen verharmlosen oder gar Geld geben. In vielen Fällen aber gehen die familiären Bande durch die Spielsucht zu Bruch oder werden maßgeblich gestört.

Wie kann dem Süchtigen nun geholfen werden? Natürlich kann er versuchen, sich selbst zu therapieren. Aber das geht, wie bei anderen Süchten auch, meistens schief. Er sollte sich zunächst an einen in dieser Hinsicht erfahrenen Suchtberater oder Psychotherapeuten wenden. Er wird ihm einen Therapievorschlag anbieten und weitere Hilfsmöglichkeiten nennen. Er wird informieren und beraten, natürlich anonym. Außerdem gibt es auch spezielle Beratungsmöglichkeiten für Angehörige. Ferner arbeiten in Deutschland auch bereits mehr als 100 spezielle Selbsthilfegruppen für Spielsüchtige.

Lassen Sie sich in jedem Falle helfen, übrigens auch durch Schuldnerberatungsstellen, die bei den finanziellen Folgen der Sucht helfen. Wenn Spielen zur Sucht wird, hört es auf, Spiel zum Glück zu sein. Dann ist es nur noch ein Spiel mit dem Feuer, sozusagen das Tor zur Hölle! Heiner Pachmann

Und in der nächsten Ausgabe: Wenn der Alkohol die Familie zerstört

Alkohol - die Familie als Kriegsschauplatz

Serie, Teil 4, aus FARANG 12-2010

Machen wir uns nichts vor: Kaum ein Süchtiger - ob Alkohol, Spiel oder Medikamente - wird von sich aus eingestehen, süchtig zu sein. Er wird es eher bagatellisieren. Wer aber als erstes merkt, dass da Sucht, aber mindestens Missbrauch im Spiel ist, das ist die Familie. Bleiben wir beim Alkohol. Die Grundfrage ist: Macht Alkohol die Familie kaputt oder gibt es Wege, gemeinsam mit der Familie den Hang zur Flasche zu besiegen? Die Antwort: beides!

Fakt ist, dass 20 Prozent der Ehen wegen des Alkoholismus eines Partners (es muss nicht immer nur der Mann sein) geschieden werden. Das ständige Trinken, die ewige "Fahne", das permanenten Lallen, Aggressivität gegen Frau/ Mann und Kind, auch Schlagen, aber auch das Sich-zurückziehen, das Verstecken von Flaschen, Geldprobleme durch ständigen Kauf von Alkohol, stete Unzuverlässigkeit, Verharmlosung und Lügerei (die Lüge ist die Schwester der Sucht), der abnehmende Kontakt zu Verwandten und Freunden, oft auch sexueller Missbrauch bis hin zum Hang zur Selbstzerstörung sind typische Merkmale. Man macht sich gegenseitig Vorwürfe, es kommt zu Eifersuchtsszenen, das Desinteresse an Hobbys oder gemeinsamen Freizeitaktivitäten nimmt ab, die Schuld wird immer beim anderen gesucht, man vermeidet Gespräche. All das macht die Partner auf Dauer kaputt. Sie können damit nicht mehr umgehen, halten all dies nicht mehr aus, trennen sich.

Dabei meint man es am Anfang noch gut, versucht zu helfen, trinkt sogar aus Geselligkeit manchmal mit, drückt ein Auge zu, übernimmt Aufgaben, die eigentlich der Betroffene lösen müsste, pflegt ihn, übernimmt Verantwortung. Man wird zum sogenannten Co-Alkoholiker (die Problematik des Co-Alkoholismus wird noch in einer anderen Folge gesondert behandelt). Aber das Trinken wird immer schlimmer, zerstörerischer, nicht mehr auszuhalten.

Besonders schlimm ist das für die Kinder in der Familie, die ihre Eltern oder einen von beiden, ständig besoffen erleben. Sie reagieren dabei ganz unterschiedlich, und ich meine jetzt nicht die, die dabei sexuell missbraucht werden.

Kinder sind das schwächste Glied auf diesem Kriegsschauplatz, allein deshalb, weil sie sich nicht unabhängig machen können. Sie haben Angst, schämen sich, versuchen zu verdrängen, ziehen sich zurück. Nebenbei gesagt: Viele greifen später selbst zur Flasche (in einem Berliner Bezirk haben fast 80 Prozent aller alkoholabhängigen Jugendlichen mindestens einen Alkoholiker als Elternteil).

Kinder aus Suchtfamilien folgen im Grunde 4 Grundmustern. Da gibt es 1. den Familienheld. Er opfert sich auf, nimmt die Fäden selbst in die Hand, versucht das gute Ansehen der Familie zu bewahren. Dann gibt es 2. den Sündenbock. Er sieht sich selbst als Schuldiger für die Misere, versucht seine eigentlich schuldigen Elternteile zu entlasten, hat in der Regel eine harte Schale, aber einen weichen Kern. Diese Sündenbockrolle kann sich - nebenbei gesagt - später auf andere Lebensbereiche übertragen. Dann gibt es 3. den Clown, der versucht, seine Eltern ständig zum Lachen zu bringen, die Schärfe aus der Situation zu nehmen, von Problemen und Nöten abzulenken. Und es gibt schließlich 4. das vergessene Kind, das unauffällig ist, Unwissen und Vergesslichkeit vortäuscht, keine Probleme bereiten will. Aber eines gilt für alle: Die Probleme der Eltern sind auch immer die Probleme der Kinder!

Aber wie kann die Familie nun wirklich helfen? Sie kann es in der Phase der Trockenheit des Suchtkranken, wobei die Familie keine Entgiftungsstation ist. Auf keinen Fall sollte man als Familienangehöriger der Kontrollsucht verfallen. Nein, man muss wieder aufeinander zugehen, miteinander viel reden, für Ehrlichkeit und Klarheit sorgen, versuchen, wieder Zärtlichkeiten aufzubauen (man sagt, es gebe keinen besseren und zuverlässigeren und zärtlicheren Mann als einen trockenen Alkoholiker), gemeinsame Erlebnisse suchen, zeigen, dass auch das "trockene" Leben schön sein kein, auch mal wieder verreisen, ins Kino oder Theater gehen, Trinksituationen meiden, verloren gegangene Beziehungen wieder auffrischen, wieder etwas mit den Kindern unternehmen, für Regelmäßigkeiten im Tagesablauf sorgen, aber auch keine Überraschungen aufsparen, sich generell von der Furcht lösen.

Dabei muss allerdings eines klar sein: Es kann immer wieder mal zum Rückfall kommen. Er gehört zur Krankheit (auch die Rückfallproblematik wird später noch eine Rolle spielen). Wichtig ist, wie man mit ihm umgeht und dass der Betroffene sich schnell wieder professionelle Hilfe sucht. Im Idealfall besuchen beide eine Selbsthilfegruppe. Es gibt auch solche speziellen Gruppen für Angehörige. Oder sie halten ständig Kontakt zu einem Suchtberater oder -krankenhelfer, wie ich ihn generell auch für die Lösung von familiären Suchtproblemen anbiete.

Denn eines soll doch klar sei: Die Trennung oder Scheidung von Menschen, die sich mal geliebt habe, darf nur die letzte Möglichkeit sein. Heiner Pachmann

Und im nächsten FARANG-Magazin: Wenn man mit der Tablette die Ehe eingeht

Sucht auf oder ohne Rezept - der "normale" Griff zur Pille

Serie, Teil 5, aus FARANG 01-2011

Wit und Klaus sind schon im Bett. Sie hatten noch den "Tatort" gesehen, waren dann aber richtig müde. Während Klaus schon fest schlief, wälzte sich Wit hin und her. Sie konnte nicht einschlafen und rüttelte Klaus wach. "Ich kann wieder nicht schlafen", sagte sie zu ihm. "Dann nimm doch eine Schlaftablette", murrte er kurz und drehte sich wieder um. Das wollte Wit nur hören. Sie ging ans Medikamentenschränkchen und machte das, was sie nun schon seit fast einem halben Jahr abends immer macht: Sie nimmt eine Schlafpille und weiß, dass sie in einer guten Stunde schon träumen wird.

Millionen Menschen in Deutschland greifen tagtäglich zu irgendeiner Pille. Wohlgemerkt, es geht hier nicht um die Antibaby-Pille oder um jene Menschen, die aus Krankheitsgründen dauerhaft Medikamente (Diabetiker z.B. Insulin) nehmen müssen. In der heutigen Folge unserer Suchtserie geht es um Medikamentenmissbrauch oder gar Tablettensucht.

Ja, richtig. Medikamente können abhängig machen, wenn man sich an ihre Einnahme gewöhnt oder sie dauerhaft zu hoch dosiert konsumiert. Nehmen Betroffene sie nicht, kommt es - wie bei der Alkoholkrankheit - zu Entzugserscheinungen wie Schweißausbrüche, Herzflattern, Nervosität, Schlafstörungen oder innere Unruhe. Erst wenn die Pille wieder genommen wird, setzen die gewünschten Effekte ein - ein fataler Kreislauf.

Studien der Krankenkassen haben ergeben, dass zwischen 1,5 und 2 Millionen Menschen in unserem Land Medikamente missbrauchen oder gar schon abhängig sind (im Vergleich: die Zahl der Drogenabhängigen in Deutschland liegt unter 200.000). Im Gegensatz zum Alkoholmissbrauch sind bei Tabletten Frauen wesentlich häufiger betroffen als Männer, z.B. weil sie durch ihre Doppelrolle mit Familie und Beruf psychisch belasteter sind als die Herren der Schöpfung.

Die am häufigsten missbräuchlich verwendeten Medikamente sind Schlaf-, Schmerz- und Beruhigungsmittel. Dabei sollte klar sein, dass all diese keine lebensnotwendigen Medikamente sind. Besonders die Beruhigungsmittel, die sogenannten Benzodiazepine, werden häufig eingenommen und - das muss hier auch noch gesagt werden - von einigen Ärzten auch bedenkenlos verschrieben (was nebenbei bemerkt rein juristisch ein Straftatbestand seitens des Arztes sein kann). Allgemein bekannte benzodiazipinhaltige Arzneien sind beispielsweise Valium, Faustan oder Diazepam. Nimmt man diese regelmäßig (1 bis zwei Tabletten täglich, kann dies schon nach zwei, spätestens aber nach sechs Wochen zur einer sogenannten "Niedrigdosis-Abhängigkeit" führen, die später in eine "Hochdosis-Abhängigkeit" übergehen kann.

Fachleute unterscheiden bei dieser Problematik vier Stufen:

1. der Medikamentengebrauch (alltäglicher Gebrauch, der nicht zwangsläufig zum Missbrauch führen muss. Allerdings kann sich hier schon eine Niedrigdosis-Abhängigkeit herausbilden)

2. der Medikamentenmissbrauch (Medikamentenkonsum ohne ärztliche Verordnung und/oder in zu hohen Dosen. Hier kann schon eine Abhängigkeit vorliegen)

3. die Medikamentenabhängigkeit (starkes Bedürfnis nach Einnahme des Medikaments, ohne die Arznei kommt es nicht zur gewünschten Wirkung; hier hat der Medikamentenkonsum schon die psychische wie auch die körperliche Ebene erreicht)

4. die Medikamentensucht (die Dosis muss immer mehr gesteigert werden, um Wirkung zu erzielen; man hat keine Kontrolle mehr, muss einfach die Tablette(n) nehmen)

Dabei vollzieht sich der ganze Prozess schleichend. Betroffene merken oft gar nicht, dass es bei ihrem Arzneikonsum schon gar nicht mehr um die momentane Linderung eines Symptoms geht, sondern bereits eine Abhängigkeit erreicht ist. Wobei - wie beim Alkohol - so gut wie nie zugegeben wird, dass man abhängig oder süchtig ist, sondern, wenn überhaupt, lediglich einräumt, dass man sich schon an die Tablette gewöhnt hat.

Jeder Tablettenkonsument kann nun selbst für sich einschätzen, wo er steht. Bei Wit, die vom Isaan nach Deutschland gekommen ist, ist nach halbjähriger Schlaftabletten-Einnahme bereits eine Abhängigkeit erreicht. Sie kann ohne die Pille einfach nicht mehr schlafen.

Was kann man nun dagegen tun?

An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass sich der Entzug und die Therapie von medikamentenabhängigen Menschen langwieriger gestaltet als der von Alkoholikern. Während letztere bereits in der Regel nach gut vier Tagen vom Alkohol "entgiftet" sind und es ihnen besser geht, dauert bei Medakamentenabhängigen dieser Prozess wesentlich länger, unter anderem deswegen, weil Arzneistoffe eine wesentlich höhere Halbwertzeit beim körperlichen Abbau haben als Alkohol. Manche dieser Stoffe bleiben bis zu mehreren Monaten dem Körper "erhalten".

Viele werden erst einmal selbst versuchen, vom Medikament herunter zu kommen. Das ist - wie bei anderen Abhängigkeiten auch - rein menschlich gesehen normal. Dabei muss man aber betonen, dass Medikamente, die häufig oder hoch dosiert genommen werden, nicht abrupt abgesetzt werden dürfen, sondern schrittweise über einen längeren Zeitraum in immer geringeren Dosen. Das mag ein normaler Versuch sein, erfolgversprechend ist er in der Regel nicht und übrigens auch gefährlich. Richtig wäre es, den Hausarzt oder eine (Sucht-) Beratungsstelle oder einen Suchtberater wie ich es bin aufzusuchen, um das Problem anzusprechen.

Machen Sie es sich bewusst: Auch bei Medikamenten braucht man professionelle Hilfe! In der Regel werden sie den Rat bzw. beim Arzt eine Überweisung erhalten, die zu einem auf Sucht, speziell auf Medikamente spezialisierten Psychotherapeuten führt. Der wird mit Ihnen alle weiteren Schritte beraten und Sie behandeln, auch indem er ihre Motivation zur Beseitigung des Problems stärkt. Ich wiederhole noch mal: Die meisten der oben genannten Medikamente sind nicht lebensnotwendig. Es wird also nach Wegen gesucht werden, auf andere Art den Kopfschmerzen, Spannungszuständen, der Nervosität, den Angstzuständen oder den Schlafstörungen beizukommen. Und es gibt diese Wege!

Wenn Sie betroffen sind, suchen Sie diese Hilfe. Sie können sich auch an mich oder an die Redaktion (per Post, Anruf oder E-Mail) wenden. Alles wird vertraulich, seriös oder anonym behandelt. Auf jeden Fall aber lassen Sie sich helfen, wenn Sie betroffen sind und davon loskommen wollen! Heiner Pachmann

Und im nächsten FARANG-Magazin: Wann wird aus dem Vorfall ein Rückfall?

Kameradschaft in Sachen Alkohol - der Co-Alkoholiker

Serie, Teil 6, aus FARANG 04-2011

Ein Compagnon - kurz Co. genannt - ist laut Fremdwörterbuch ein Teilhaber oder Mitmacher (Co ist lateinisch und bedeutet "mit"). Man kennt die GmbH & Co. KG, den Co-Moderator oder den Co-Produzenten. Den gibt es aber auch: den Co-Alkoholiker. Was ist das, wer ist das, was macht er, was sollte er nicht machen, was kann er tun? Auf diese Fragen gibt dieser Beitrag Auskunft, der sich mit der Problematik Partnerschaft befasst.

Es gibt in Deutschland rund acht Millionen Menschen, die in irgendeiner Form der Partnerschaft mit einem alkoholkranken Menschen leben. Die meisten haben große Probleme damit, viele haben sich damit abgefunden. Sie möchten zwar, dass der Partner oder die Partnerin nicht mehr trinkt, sorgen aber dafür - und hier werden sie zum Co - dass er weiter trinken kann. Dafür gibt es oft eine einfache Erklärung: Der Partner ist abhängig von der Flasche, der Co-Abhängige ist abhängig vom Betroffenen. In diesem Prozess spielt Letzterer das Spiel mit, wird zum Komplizen, zum Verbündeten und trägt ungewollt dazu bei, dass sich die Sucht verfestigt. Jack London - selbst alkoholkrank - schrieb in seinem Buch "König Alkohol": "Kameradschaft und Alkohol waren siamesische Zwillinge. Sie waren unzertrennlich."

Diese Art Kamerad- oder Teilhaberschaft des Co-Alkoholismus kann verschiedene Formen annehmen. Das fängt damit an, dass der Co von sich aus Aufgaben, Arbeiten und Verantwortung übernimmt, die eigentlich der Alkoholkranke übernehmen müsste. Das geht weiter, in dem er das Verhalten des Betroffenen vor anderen häufig entschuldigt, Ausreden für dessen Trinkverhalten sucht oder gar rechtfertigt und reicht bis zum Punkt, wo er den Alkohol einkaufen geht oder (kontrolliert) mittrinkt. Das bezeichnet man auch als schützende oder Vorläuferphase der Co-Abhängigkeit. Sie ist von Fürsorge geprägt, von Mitleid und oft auch von Angst.

Es gibt aber auch eine kritische, nämlich die Kontrollphase. Das heißt, der Co legt ein kontrollierendes Verhalten an den Tag, achtet besonders stark auf jede Regung, auf jedes Wort des Betroffenen, auf Trink- und Essgewohnheiten des Abhängigen, auf seinen Umgang mit Geld, sucht nach Flaschen, will prüfen, ob der andere schon wieder getrunken hat (hat er eine Fahne?), oder ob er seine familiären oder andere aufgetragene Arbeiten erfüllt hat, nimmt zudem jede Lüge wahr. Getreu dem Motto "Das Vertrauen ist kaputt, Kontrolle ist besser". Er will retten, was noch zu retten ist, will den Schaden begrenzen, ist enttäuscht.

Und dann gibt es drittens noch die chronische Phase. Sie ist geprägt von Anklagen und Drohungen, die in der Regel aber keine Konsequenzen nach sich ziehen, die Anklagen sind stark emotional, der Abhängige wird für das Schicksal des Co verantwortlich gemacht. Das ist dann schon eine Phase der Resignation, der Ohnmacht, der Verbitterung und kann hin bis zu Todeswünschen (auf den Partner, aber auch auf sich selbst bezogen) reichen. Ich versichere Ihnen aus langer Suchtberatungserfahrung: All das hilft nichts, trägt nicht zur Lösung der Suchtprobleme beim Partner bei.

Aber was hilft? Der oder die Co muss das Verhalten ändern, sich von den eigenen alten Verhaltensmustern befreien. Das heißt, er muss den Betroffenen loslassen, aber nicht fallen lassen (Scheidung oder Trennung sollte immer der letzte Weg sein). Wie sieht das konkret aus? Der Co sollte zunächst mal mit Vertrauenspersonen sprechen und sich Informationen über die Alkoholkrankheit aneignen. Das kann man am besten mit Suchtberatern, in Selbsthilfegruppen (z.B. Angehörigengruppen) oder bei auf Sucht spezialisierten Psychotherapeuten. Der oder die Co muss zudem zunehmend selbständig handeln und darf das Spiel nicht mehr mitmachen, muss auch aufhören zu kontrollieren. Er sollte nüchterne Phasen nutzen, konstruktive Hilfsangebote zu unterbreiten, statt Vorwürfe zu machen. Er muss auch konsequent sein und Konsequenzen ankündigen, Grenzen aufzeigen (Wenn..., dann...). Das erhöht den Leidensdruck des Betroffenen, gibt ihm aber auch Gelegenheit und Raum zum Nachdenken. Der Co muss darüber hinaus generell aufhören, das Verhalten des Alkoholikers zu tolerieren, geschweige denn zu entschuldigen. Er soll nicht tadeln und Vorwürfe herunterprasseln lassen, aber auch nicht verwöhnen und versorgen. Schließlich muss der Co vor allem an sich denken, muss dafür sorgen, dass er sich im seelischen Gleichgewicht befindet und so gut wie möglich leben kann.

Aber Achtung! Wenn der Alkoholkranke sich wirklich ändert, zunehmend nüchtern oder im besten Falle trocken wird, ist das nicht selten mit familiären Problemen verbunden. Schließlich hat der Alkohol vieles zugedeckt. Mitunter haben sich Partner nichts mehr zu sagen, wird der einstige Co dann mit dem gewachsenen Selbstbewusstsein und der steigenden Entscheidungsfreudigkeit des "Trockenen" nicht fertig. Das kann hinreichen bis zum Zerbrechen der Ehe.

Nein, andersrum wird ein Schuh draus, kann das gemeinsame Leben wieder richtig schön werden. Beide müssen viel miteinander reden, sich viel Zeit nehmen, müssen von den gegenseitigen Bedürfnissen wissen und auch lernen, sich ineinander hinein zu versetzen. Die eigene Wohnung kann zwar keine Entzugsstation sein, aber doch ein Raum, wieder zueinander zu finden. In jedem Falle ist gegenseitiges Vergeben und Versöhnen ist angesagt.

Die Testfragen

Und wo stehen Sie? Kennen Sie das?
- Haben Sie Angst vor dem Gerede anderer Leute?
- Möchten Sie das Suchtproblem Ihres Partners vor anderen verheimlichen?
- Vermeiden Sie zunehmend den Kontakt zu Freunden und Bekannten?
- Machen Sie Ihrem Partner Vorwürfe wegen seines Trinkens?
- Haben Sie mal Alkohol für ihn gekauft?
- Haben Sie schon mal Alkoholvorräte versteckt oder ausgegossen?
- Übernehmen Sie Hausarbeiten, die früher ihr Partner erledigte?
- Streiten Sie oft oder reden Sie gar nicht mehr miteinander?
- Fühlen Sie sich ohnmächtig gegenüber dem Alkoholmissbrauch?
- Haben Sie schon mal an Trennung oder Scheidung gedacht?

Schon bei einem Ja sind Sie wahrscheinlich mitbetroffen. Je mehr JAs, desto so dringender ist es, sich Hilfe von außen zu holen. Heiner Pachmann

(Und im nächsten FARANG: Wann wird aus dem Vorfall ein Rückfall?)

(Quelle des Testes: Blaues Kreuz Deutschland e.V./ Suchtkrankenhilfe).

P.S.: Brauchen Sie Rat oder Hilfe, dann wenden Sie sich an Heiner Pachmann. Er ist ein Farang mit Thaifrau, lebt in Berlin und gehört mit zum Team des FARANG-Magazins. Heiner Pachmann schreibt auch Reiseberichte.

Private Sucht- und Abhängigkeitshilfe

Heiner Pachmann

Mobil: 0171 - 527 16 22

h.pachmann@web.de

Gesprächstermine mit Betroffenen oder/und Angehörigen in meinem Büro oder bei Ihnen zu Hause nach telefonischer Vereinbarung.

(Dolmetscher bei Bedarf vorhanden)


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